Habermas‘ deliberative Demokratietheorie

In der Kulturellen Politischen Ökonomie (KPÖ) des Health Care State beziehe ich mit in der gesellschaftstheoretischen Rahmung meines theoretischen Erklärungsansatzes auch auf die deliberative Demokratietheorie von Jürgen Habermas. Die in der neo- und postmarxistisch orientierten Soziologie bzw. Gesellschaftstheorie anzutreffende „Dualisierung“ des materialistischen Gesellschaftszusammenhangs in die zugleich institutionell-organisatorisch getrennten und verbundenen Bereiche des Ökonomischen und Politischen ermangeln der Konzeption eines fehlenden Dritten.

Dieses fehlende Dritte, das als Vermittlungsinstanz ökonomische und politische Prozesse aneinander bindet, sie – historisch-kontingent – moduliert, ist die Zivilgesellschaft. Dies ist freilich in materialistischer Perspektive ein recht dubioser und angegriffener Begriff. Zivilgesellschaft – so eine weit verbreitete Kritik – ist nichts anderes als die ideologische Umschreibung bzw. Verhüllung bürgerlicher Herrschaft. Die Zivilgesellschaft – so die historische Erzählung – habe die Staaten des real-sozialistischen Herrschaftssystems in die Knie gezwungen. Eine These, die zweifellos die ökonomischen Krisenprozesse völlig vernachlässigte und die (im Nachhinein) zweifelhafte Vision einer zivilgesellschaftlichen Modernisierung dieser Gesellschaften unterstellte.

Die – durchaus kritikwürdige – normative Aufladung der Zivilgesellschaft als Hort des – gewissermaßen – herrschaftsfreien Diskurses – wie z.B Dubiel u.a. intonierten – bedeutet jedoch im Umkehrschluss nicht, dass das Konzept der Zivilgesellschaft jeder ontologischen Bedeutung entbehrte. Das Habermas’sche Konzept der Lebenswelt kommt dem Konzept der Zivilgesellschaft in mancherlei Hinsicht nahe, insbesondere in ihrer Abgrenzung zu seinen systemischen Mächten: kapitalitische Wirtschaft hier und bürokratischer Verwaltungsstaat dort. Bürgerliche Gesellschaft ist alles Dreifache: Politik, Ökonomie und (Zivil-)Gesellschaft.

In meinem gesellschaftstheoretischen Modell (siehe die folgende Tabelle) bezeichne ich auf der analytischen Ebene der Gesellschaftsformation mit dem Konzept der (residualen) Lebenswelt jene Kristallisierung zivilgesellschaftlicher Strukturen, die sich gegen die ökonomischen und politischen Integrations- und Vereinnahmungsstrategien abzugrenzen suchen. Dabei handelt es sich hinsichtlich der Artikulationsstrukturen und -logiken weder um Prozesse der Verbindung von Produktions- oder Herrschaftsweisen, sondern vielmehr von Reproduktionsweisen. Der gesellschaftliche Zusammenhang erschließt sich also vor allem über die sozialen Handlungen der Akteure und Subjekte und nicht allein systemisch.

Gesellschaftstheoretisches Integrationsmodell spätmoderner kapitalistischer Gesellschaften nach Mosebach (2022)

Während sich das Ökonomische, also die Frage nach der Organisation und Bereitstellung materieller Lebensbedingungen, sich in spätmodernen kapitalistischen Gesellschaften systemisch in das Wirtschaftssystem ausdifferenziert, kulminiert die Regelung allgemein gültiger verbindlicher Entscheidungen mit der parallelen Erwartung auf Gehorsamkeit im machtbasiert gesteuerten politischen System. Rationalisierungsprozesse der Lebenswelt verdichten sich zu intermediären Systemen wie Kunst, Wohlfahrt, Literatur, Sport usw., bleiben jedoch stets den Kolonisierungsprozessen des Ökonomischen und Politischen ausgeliefert, deren Dynamik sich über die spezifischen Krisenformen und Prozesse der Systemintegration ergibt.

Die ökonomische Überakkumulationskrise drängt auf die expansive Ausweitung ökonomischer Logiken durch Inwertsetzungsprozesse wie die Legitimationskrisen des Politischen zur Transformationen und Ausweitungen von Staatlichkeit führen. Kommunikation bzw. kommunikatives Handeln im Sinne von Habermas wird von diesen beiden Expansionslogiken unter Druck gesetzt. Die Lebenswelt wird tendenziell residual. In welchem Kontext nun, so die Leitfrage dieses Beitrags, spielt das Habermas’sche Konzept der deliberativen Demokratie eine bedeutsame Rolle für die Konstitution dieses gesellschaftstheoretischen Modells, das meiner Version einer Kulturellen Politischen Ökonomie des Health Care State zugrundeliegt?

System-Lebenswelt-Dualismus und die KPÖ des Health Care State